Virtue signalling

Die englischsprachigen Bezeichnung Virtue signalling (AmE virtue signaling) definiert das Cambridge Dictionary mit „ein Versuch anderen Menschen zu zeigen, dass man eine gute Person ist, z. B. durch das Äußern von Meinungen, die für sie akzeptabel sind, insbesondere in Social Media“ (Übersetzt aus „an attempt to show other people that you are a good person, for example by expressing opinions that will be acceptable to them, especially on social media“).[1]

Herkunft und Verwendung

Virtue signalling ist ein englischsprachiger Neologismus. Der Ausdruck klingt wie ein sozialwissenschaftlicher Fachbegriff, ist aber tatsächlich ein herkömmlicher Bestandteil der Alltagssprache in journalistischen Kommentaren sowie bei Meinungsäußerungen in den sozialen Medien und in politischen Diskussionen. Virtue signalling wird dabei teilweise in ähnlicher Bedeutung wie political correctness verwendet. Wegen seiner Ausbreitung in den sozialen Medien und der oftmals herabsetzenden Verwendung wird der Ausdruck als typisches Beispiel für im 21. Jahrhundert neu entstandene Bezeichnungen beschrieben.[2] Eine gängige deutsche Übersetzung gibt es bislang nicht.[3]

Als Beispiele für virtue signalling wurden die Änderung des Facebook-Profilbildes, um seine Unterstützung für ein bestimmtes Anliegen zu zeigen, die Teilnahme an der ALS Ice Bucket Challenge, öffentlich ausgedrückte „Gedanken und Gebete“ (thoughts and prayers) für Opfer von Katastrophen oder der Ausdruck von Überzeugungen durch Hashtags auf sozialen Medien genannt. Den Kritikern zufolge, die ein virtue signalling behaupten, würden die Absender mit diesen Gesten ihre vermeintliche Tugendhaftigkeit und moralische Überlegenheit zum Ausdruck bringen wollen, um Anerkennung zu gewinnen, ohne wirklich entsprechende Überzeugungen zu haben bzw. in der Praxis danach zu handeln.[4]

Virtue signalling wurde zum Kampfbegriff amerikanischer Konservativer gegen Liberale und Linke, etwa auf der rechten Nachrichtenwebsite Breitbart.[4] Der dänische Autor Bjørn Lomborg verwendete das Schlagwort für Vegetarier.[5]

Kritik an Begriffsverwendung

David Shariatmadari kritisierte 2016 im britischen Guardian den Gebrauch des Schlagworts virtue signalling. Dies sei eine „Herabsetzung“, die „ihr Haltbarkeitsdatum überschritten“ habe. Es sei eine „hübsche, prägnante Phrase“, noch dazu „sozialwissenschaftlich angehaucht“, mit der man einen Diskussionsgegner oberflächlich aussehen lassen könne, während man selbst den Anschein erwecke, in einen anspruchsvollen Diskurs eingeweiht zu sein. Der Vorwurf des virtue signalling würde aber das Kind mit dem Bade ausschütten: Bloß weil jemand eine in gewissen Kreisen angesehene Meinung vertrete, dürfe man nicht darauf schließen, dass er dies nur aus Eitelkeit tue.[6] Auch der neoliberale Ökonom Sam Bowman vom Adam Smith Institute wies den Gebrauch des Ausdrucks virtue signalling zurück. Er sei ein beliebter, aber „dummer Begriff, der die Konzepte missbraucht, die er anführt, er fördert bequemes Denken und er ist scheinheilig.“[7]

Auch Jane Coaston nahm in der New York Times zum Begriff Stellung. Das Problem an virtue signaling sei nicht das Signalisieren, denn jeder signalisiere jederzeit alle möglichen Dinge. Die Kritik an virtue signaling stelle also Kritik an der Tugend selber dar und Menschen, die virtue signaling bei anderen zur Sprache bringen, würden selber wiederum etwas signalisieren wollen, z. B. pragmatisch oder zynisch mit schmerzhaften Tatsachen umgehen zu können.[8] Neil Levy, Professor für Philosophie an der Macquarie University schrieb, im Tagesspiegel, der Vorwurf könne dazu genutzt werden, nicht auf die moralische Frage eingehen zu müssen, und: „Die Ironie dieses Vorwurfs liegt darin, dass man, umgekehrt, die Kritik am offensiven Zurschaustellen von Moral wiederum als Fall von offensivem Zurschaustellen von Moral sehen könnte – nur eben für ein anderes Publikum.“[5]

Untersuchungen

In einer Untersuchung, veröffentlicht im Journal of Business Ethics, wurde „conspicuous virtue signalling“ (übersetzt: „auffälliges virtue signalling“) auf Facebook untersucht. Dies fand anhand Befragungen zweier Versuchsgruppen statt: Die eine bestand aus 234 freiwilligen irischen größtenteils Studentinnen, die andere aus 300 bezahlten US-amerikanischen Personen von Amazon Mechanical Turk. Es ergaben sich Beziehungen zwischen unethischen Verhaltensabsichten und „conspicuous virtue signalling“.[9]

Die Psychologen Jillian Jordan und David Rand untersuchten in mehreren Experimenten, auch mit Personen (Anzahlen: 8440, 6076 und 3422) von Amazon Mechanical Turk, das „moralistic punishment“ während diese anonym waren. Dabei wurde die Signalwirkung von „moralistic punishment“ untersucht.[10] Sie schrieben in der New York Times im Zuge der Untersuchung unter der Überschrift „Are You ‘Virtue Signaling’?“, dass das möglicherweise so sei, was aber nicht fehlende Authentizität bedeute. Die Unterscheidung zwischen echter moralischer Empörung und strategischem „virtue signaling“ setze trennbare psychologische Systeme voraus. Neue Forschungen würden nahelegen, dass eine solche Unterscheidung falsch sei.[11]

Dem Philosophen Neil Levy zufolge sei "unehrliches Zurschaustellen" von Tugendmerkmalen, für das es in der Evolutionsbiologie den Begriff Mimikry im Tierreich geben würde, beim Menschen als heuchlerisch zu verurteilen, während der Hinweis auf echte eigene Tugend dem sozialen Zusammenhalt diene und als "ehrliches Signal" zu Unrecht angeprangert würde.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Barbara D. McClay: Virtue Signaling. In: Institute for Advanced Studies in Culture, University of Virginia: Identities—What Are They Good For? (= The Hedgehog Review. Band 20, Nr. 2), Sommer 2018, S. 141–144.

Einzelnachweise

  1. Definition von virtue signalling. In: Cambridge University Press (Hrsg): Cambridge Advanced Learner's Dictionary & Thesaurus. Vgl. virtue signalling. In: Oxford University Press (Hrsg.): Lexico.com. Abgerufen am 29. Februar 2020.
  2. Martin Moore: Word of the MonthVirtue signalling. In: Spread the WordThe Oxford Learner’s Dictionaries blog. 1. Mai 2018, abgerufen am 18. Februar 2020.
  3. Markus Schär: Nicht tugendhaft sein, sondern tugendhaft scheinen: Warum das «virtue signaling» der Menschheit nicht unbedingt hilft, aber zum Menschsein gehört. In: NZZ.ch. 5. Februar 2020, abgerufen am 18. Februar 2020.
  4. a b Mark Peters: Virtue signaling and other inane platitudes. In: The Boston Globe. 24. Dezember 2015.
  5. a b c Neil Levy, übersetzt von Anna Thewalt und Yannik Achternbosch: Philosophie-Professor erklärt das Gute am Gutmenschentum. In: Der Tagesspiegel. 2. Februar 2020 (archivierte Version vom 27. Februar 2020). Englisches Original: Is virtue signalling a perversion of morality? In: Aeon Ideas. 29. November 2019.
  6. David Shariatmadari: 'Virtue-signalling' – the putdown that has passed its sell-by date. In: The Guardian. 20. Januar 2016.
  7. Sam Bowman: Stop saying 'virtue signalling'. In: Blog — Adam Smith Institute. 27. Mai 2016.
  8. ‘Virtue Signaling’ Isn’t the Problem. Not Believing One Another Is. In: nytimes.de. 8. August 2020, abgerufen am 12. Februar 2020.
  9. Elaine Wallace, Isabel Buil, Leslie de Chernatony: ‘Consuming Good’ on Social Media: What Can Conspicuous Virtue Signalling on Facebook Tell Us About Prosocial and Unethical Intentions? In: Journal of Business Ethics. 21. August 2018, doi:10.1007/s10551-018-3999-7 (aston.ac.uk).
  10. Jillian J. Jordan, David G. Rand: Signaling when no one is watching: A reputation heuristics account of outrage and punishment in one-shot anonymous interactions. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 118, Nr. 1, Januar 2020, doi:10.1037/pspi0000186 (yale.edu).
  11. Jillian Jordan, David Rand: Are You ‘Virtue Signaling’? In: nytimes.de. 30. März 2019, abgerufen am 12. Februar 2020.