Ukrainische Gegenoffensive in Cherson 2022

Ukrainische Gegenoffensive in der Südukraine
Teil von: Russischer Überfall auf die Ukraine 2022
Datei:2022 Ukraine summer counteroffensive.png
Datum Ende August 2022 bis andauernd
Ort Oblast Cherson
Ausgang Rückeroberung von von besetzten Gebieten auf dem rechten Ufer des Dnepr
Konfliktparteien

Ukraine Ukraine

Russland Russland

Die ukrainische Gegenoffensive in der Südukraine ist ein im Herbst 2022 geführter militärischer Vorstoß der ukrainischen Streitkräfte im Rahmen des Russland-Ukraine-Kriegs 2022. Bei diesem Vorstoß gelang es der ukrainischen Seite ab Anfang September ein Durchbruch durch die russische Frontlinie im Norden des Oblast Cherson. Im Oktober 2022 gelangen bedeutende Durchbrüche in Richtung der Stadt Cherson.

Ausgangslage

Russische Truppen überquerten von der Krim kommend schon kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine den Fluss Dnepr Ende Februar und besetzten Anfang März 2022 weite Gebiete der Oblast Cherson westlich des Dnepr, einschließlich der Provinzhauptstadt Cherson, die weitgehend kampflos gefallen war, und Teile der Oblast Mykolajiw. Ein weiterer russische Vorstoß von Cherson in Richtung Odessa scheiterte jedoch bei Mykolajiw und weiter nördlich bei Wosnessensk, da russische Kräfte an der durch den von dem südlichen Bug gebildeten natürliche Barriere, aufgehalten wurden. Ab Ende März gingen die Russen in dem Frontabschnitt Cherson in eine defensive Haltung über. Zu dem Zeitpunkt verlief die Front westlich des Dnepr in etwa entlang den Grenzen des Oblast Cherson, im Nordwesten bildete der Fluss Inhulez eine natürliche Barriere nach Westen.

In der Folge zog die ukrainische Führung zunehmend Reserven im Raum nördlich bei Mykolajiw zusammen; bei westlichen Beobachtern wurde ab Sommer 2022 zunehmend von dem Bevorstehen einer ukrainischen Offensive spekuliert. In Reaktion darauf verstärkte die russische Führung die Präsenz westlich des Dnper von ca. 12 auf bis zu 30 Bataillonskampfgruppen; es wurde vermutet, dass die russischen Truppenstärke sich somit auf bis zu 25.000 belief, darunter Eliteeinheiten der russischen Luftlandetruppen.[1][2] Ab Juni 2022 erhielten die Ukraine zunehmend moderne Waffensysteme von westlichen Staaten, darunter moderne Artilleriesystem vom Typ HIMARS (US-amerikanische Raketenwerfer), CAESAR (französische Haubitzen auf Lastwagen) und die deutsche Panzerhaubitze 2000. Dies ermöglichte den ukrainischen Kräften eine umfangreiche Bekämpfung russischer Munitionsdepots, Kommandostände, Kommunikationsknoten und anderer logistischer Einrichtungen; insbesondere wurden die wenigen Übergänge über den Dnepr durch Beschuss unwegbar gemacht (erstmaliger Beschuss der Antoniwkabrücke am 19. Juli 2022, sowie des Übergang am Staumauer des Kachowkaer Stausee bei Kachowka), was zu erheblichen Versorgungsschwierigkeiten für die westlich des Dnepr gelegenen Truppenteile führte. Auch die von den Russen eingesetzten Pontonbrücken und Fähren wurden fortan regelmässig beschossen. Schwere Militärtechnik konnteh nicht mehr über die schwer beschädigten Brücken des Dnepr auf die Westseite des Flusses transportiert werden.[3]

Verlauf der Offensive

In den letzten Augusttagen 2022 gingen die ukrainischen Kräfte in die Offensive von drei Achsen (Norden, Mitte und Süden) aus und konnten teilweise die russische Front durchbrechen;[2] dabei konnten die ukrainischen Truppen im mittleren Abschnitt einen Brückenkopf östlich des Inhulez bei Dawydiw Brid ausbauen, und gleichzeitig die Russen im nördlichen Abschnitt nach Süden drängen; trafen dabei aber auch auf erheblichen Widerstand. Das russische Verteidigungsministerium berichtete, das ukrainische Militär bezahle seine Gegenoffensive mit hohen Verlusten. So seien bis zum 3. September weitere 230 ukrainische Soldaten getötet sowie 23 Panzer und 27 weitere Kampffahrzeuge zerstört worden.[4] Bereits am 31. August hatte das Ministerium erklärt, dass mit dem Beginn der ukrainischen Gegenoffensive am 29. August innerhalb von zwei Tagen 1700 ukrainische Soldaten getötet worden seien.[5] Ukrainische Soldaten berichteten, dass ihre Streitkräfte empfindliche Verluste erlitten hätten; die russischen Truppen gingen in der Oblast Cherson professionell vor: „Wir erkennen das auf unseren Drohnenbildern daran, wie sie sich bewegen.“ Da die Zahl ukrainischer Truppen im Gebiet um die Stadt Cherson unter derjenigen der russischen liege, versuchten ukrainische Soldaten mit Distanzangriffen hinter feindliche Linien, die russischen Besatzer in den Stellungen zu zermürben.[3] Am 14. September erfolgten gezielte russische Raketenangriffe auf einen Karachaun-Damm bei der nördlich der Front gelegenen Stadt Krywyj Rih; dabei kam es zu einem Dammbruch und in Folge stieg Inhulez an;[6] es wurde vermutet, dass damit die flussabwärts gelegenen Pontonbrücken der ukrainischen Streitkräfte bei Dawydiw Brid beeinträchtigt werden sollte, die dort erfolgreich einen Brückenkopf ausgeweitet hatten.[7] In den folgenden drei Wochen, war der Fortschritt der Ukraine bei Cherson gering, währen sich die ukrainische Gegenoffensive in der Ostukraine bei Izium, Kupiansk und Lyman erfolgreich entfaltete.

Am 2. Oktober durchbrachen ukrainische Truppen entlang der westlichen Flussseite des Dnepr russische Verteidigungslinien und verbuchten in der Folge bedeutende Geländegewinne mit der Einnahme der Dörfer Chreschtscheniwka und Solota Balka am rechten Ufer des Dnepr. Laut Angaben der ukrainischen Regierung wurden auch die im Umkreis von 42 Kilometern gelegenen Dörfer Archanhelske und Myrolyubiwka zurückerobert; russische Kräfte waren dadurch von einer Einkesselung bedroht.[8][9] Ukrainische Kräfte setzten ihre Territorialgewinne mit ihren Offensiven im Osten und Süden in den folgenden Tagen fort. Russische Truppen fielen großflächig südlich auf eine Linie zwischen dem seit Monaten umkämpften Dawydiw Brid am Inhulez und Dudtschany am Dnepr zurück.[10] Die Ukraine meldete acht Siedlungen entlang der gesamten Front im Nordosten der Oblast Cherson als zurückerobert,[11] was bestätigt, dass die von der Einkesselung bedrohte russische Verteidigung in diesem Gebiet zusammengebrochen ist. Über den Tag erhöhte sich die Gesamtzahl der von der ukrainischen Armee wieder eingenommene Ortschaften auf etwa 18.[12] Auch die russischen Generalstabskarten beim täglichen Pressebriefing des russischen Verteidigungsministeriums räumen im Vergleich zum Vortag bedeutende Gebietsverluste westlich des unteren Dnipro (Dnepr) ein.[13]

Am 8. Oktober wurden durch eine oder mehrere Explosionen die Krim-Brücke über die Meerenge von Kersch schwer beschädigt; auf der oberhalb neben der Autobahn verlaufenden Eisenbahnbrücke geriet ein aus Kesselwagen bestehender Güterzug in Brand.[14][15] Durch die Schäden war die Brücke nur noch sehr eingeschränkt nutzbar und die Hauptverbindungslinie von Russland in die Oblast Cherson stark beeinträchtigt, was die Versorgungslage der russischen Truppen weiter unter Druck setzte. Bis zum 12. Oktober konnte die Ukraine weitere fünf Siedlungen in der Oblast Cherson befreien,[16] die allerdings alle schon einmal vom 4. bis zum 6. Oktober von der ukrainischen Armee eingenommen wurden.[17] Danach wurden sie offenbar von der russischen Armee zurückerobert, was für heftige Kämpfe an der Frontlinie im Nordwesten der Oblast spricht. Trotz dieser Widerstände schätzten die russischen Militär- und Besatzungsbehörden ihre Möglichkeiten, das Oblastgebiet westlich des unteren Dnepr mit Cherson halten zu können, als sehr gering ein und gingen zur Evakuierung der Bevölkerung nach Russland über.[18]

Einzelnachweise

  1. yahoo news: Russia has up to 15,000 troops in occupied Kherson Oblast, says presidential advisor, 17. Juli 2022
  2. a b Financial Times: Ukraine says counter-offensive against Russian forces near Kherson has begun, 29. August 2022
  3. a b Ann-Dorit Boy, Oliver Imhof, Alexander Sarovic: (S+) Ukraine – Selenskyjs Offensive bei Cherson: Ist das der Befreiungsschlag? In: Der Spiegel. 2. September 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 3. September 2022]).
  4. Liveblog: ++ AKW Saporischschja schränkt Stromlieferungen ein ++. In: tagesschau.de. Abgerufen am 3. September 2022.
  5. Liveblog: + Ostafrika begrüßt Nahrungsmittellieferungen +. In: tagesschau.de. Abgerufen am 31. August 2022.
  6. Florian Hassel: Gezielter Dammbruch. In: Tages-Anzeiger. 15. September 2022 (tagesanzeiger.ch).
  7. Institute for the Study of War (understandingwar.org): Russian Offensive Campaign Assessment, September 14, 14. September 2022 (englisch)
  8. David Axe: Ukrainian Forces Are Advancing In Southern Ukraine. Abgerufen am 3. Oktober 2022 (englisch).
  9. tagesschau.de: Ukraine-Liveblog: ++ Siedlungen in Region Cherson zurückerobert ++. Abgerufen am 3. Oktober 2022.
  10. Zeit Online: Ukraine-Überblick: Ukraine rückt im Süden vor, Selenskyj verbietet Gespräche mit Putin, 4. Oktober 2022
  11. Ukrajinska Prawda: Ukraine’s Armed Forces confirm liberation of 8 settlements in Kherson Oblast. Abgerufen am 4. Oktober 2022 (englisch).
  12. Kateryna Stepanenko, Karolina Hird, Katherine Lawlor, Riley Bailey, Grace Mappes, Frederick W. Kagan (Institute for the Study of War): Russian Offensive Campaign Assessment, October 4. (Kapitel: Southern Ukraine): (Kherson Oblast) (mit Karte). Abgerufen am 6. Oktober 2022 (englisch).
  13. Ukrajinska Prawda: Russia’s Defence Ministry shows map with lost territories. Abgerufen am 4. Oktober 2022 (englisch).
  14. Russland-Ukraine-Krieg: Schwere Schäden an Krim-Brücke nach Explosion. In: Der Spiegel. 8. Oktober 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 8. Oktober 2022]).
  15. Philipp Saul, Juri Auel, Kassian Stroh, Jens Schneider, Oliver Klasen: Ukraine News: Explosionen auf der Krim-Brücke. Abgerufen am 8. Oktober 2022.
  16. Ukraine claims gains near Kherson as Nato allies send air defence systems. In: The Guardian. 12. Oktober 2022.
  17. Institute for the Study of War: Russian Offensive Campaign Assessment, October 14 (Kapitel „Southern Ukraine (Kherson Oblast)“, Angaben auf der Karte. Die vom „The Guardian“ erwähnten Dörfer Novovasylivka, Novogrygorivka (eigentlich Novohryhorivka), Nova Kamyanka und Chervone wurden schon einmal am 4. Oktober als eingenommen gemeldet, Tryfonivka am 6. Oktober-siehe auch Tagesabschnitt oben.) Eingesehen: 14. Oktober 2022.
  18. Der Tagesspiegel: Truppen erwarten Kämpfe im Stadtgebiet: Russland baut nach Rückzug neue Front in Region Cherson auf. 13. Oktober 2022.