Fatigue

Fatigue ([faˈtiːɡ], englisch/französisch; „Müdigkeit, Ermüdung, Abgespanntheit, Erschöpfung“), selten auch Fatigue-Syndrom, bezeichnet in der Medizin ein Symptom oder einen Symptomenkomplex und begleitet oft verschiedene, meist dauerhafte (chronische) Erkrankungen. Eine allgemeine Definition liegt bislang nicht vor, da sich die Wahrnehmung von Fatigue unterscheiden kann. Fatigue wird häufig als unverhältnismäßige körperliche Erschöpfung und Erschöpfung der geistigen Leistungsfähigkeit, Entkräftung oder Verlust an Muskelkraft beschrieben. Sie ist nicht Ergebnis einer anhaltenden oder übermäßigen Anstrengung und bessert sich nicht durch Ruhe. Fatigue führt zu einer erheblich beeinträchtigten Fähigkeit, Aktivitäten des alltäglichen Lebens auszuüben.[1][2]

Die Codierung in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10- und ICD-10-GM) richtet sich nach der Grunderkrankung. Wenn aber die Grunderkrankung nicht mehr vorhanden ist, ist der Diagnoseschlüssel Unwohlsein und Ermüdung (R53) anzuwenden, sofern nicht die Diagnosekriterien für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (G93.3) erfüllt sind.[3]

Bezeichnung

Während medizinische Standardwörterbücher den Ausdruck Fatigue entweder gar nicht verzeichnen oder häufig lediglich mit „Erschöpfung“ übersetzen, wird der Begriff Fatigue in Deutschland oftmals als Bezeichnung für ein krebsbedingtes Syndrom in der Onkologie und der Palliativmedizin genutzt. In der englischsprachigen Fachliteratur ist für diese spezielle Ursache hingegen der Ausdruck Cancer-Fatigue üblich. Darüber hinaus kommt der Begriff bei der Bezeichnung einer Symptomatik vor, die vorwiegend chronische Erkrankungen begleitet.

Im englischsprachigen Raum wird der Begriff Fatigue teilweise auch bei gesunden Personen verwendet, um einen Zustand nach erhöhter körperlicher Belastung zu beschreiben, der sich nach Ruhe bessert.[4]

Ursachen

Fatigue wird vorrangig im Rahmen einer bestehenden Grunderkrankung beschrieben, darunter vor allem kardiopulmonale (Herz-Lungen-Erkrankungen), endokrinologische, Tumor- und Autoimmunerkrankungen sowie Störungen des autonomen Nervensystems.[5] Fatigue kann zudem infolge einer Virusinfektion auftreten.[6]

Beispiele für Erkrankungen, die mit Fatigue einhergehen können, sind:

Fatigue kann darüber hinaus durch die Einnahme bestimmter Medikamente entstehen oder durch diese verstärkt werden. Dazu gehören Antihistaminika, Antihypertensiva, neuropsychiatrische Medikamente und Immunsuppressiva.[5] Es ist zudem möglich, dass keine zugrundeliegende Ursache für eine bestehende Fatigue ausfindig gemacht werden kann.[11]

Davon abzugrenzen ist die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Dies ist eine eigenständige Erkrankung mit dem Leitsymptom post-exertionelle Malaise (PEM).[12] Unter Fatigue fällt weiterhin nicht das Burn-out-Syndrom (Z73.0).

Epidemiologie

Laut einer Übersichtsarbeit mit Erhebungen aus mehreren Ländern gaben 15 % der Erwachsenen und 6 % der Kinder und Jugendlichen an, Fatigue zu erleben. 10 % der Erwachsenen und 1,5 % der Kinder und Jugendlichen beschrieben chronische Fatigue. Medizinisch unerklärte Fatigue wurde dabei häufiger beschrieben als Fatigue, die auf eine bekannte Ursache zurückzuführen ist.[11] In Deutschland sind etwa 11 % der Menschen von seit mindestens einem Monat bestehender unerklärter Müdigkeit betroffen (Prävalenz). Weibliches Geschlecht, jüngeres Alter, niedriger sozioökonomischer Status und geringe körperliche Aktivität sind mit dem Symptom assoziiert.[13] Bei dem Vorliegen einer Autoimmunerkrankung gaben in einer US-amerikanischen Umfrage 98 % der Befragten an, von Fatigue betroffen zu sein.[1]

Fatigue und Krebs

Fatigue bei Krebskranken (Definition)

Krebsbedingte Fatigue wurde 2000 von Gregory Curt definiert als „signifikante Müdigkeit, erschöpfte Kraftreserven oder erhöhtes Ruhebedürfnis, disproportional zu allen kürzlich vorangegangenen Anstrengungen“.[14] Eine andere Definition beschreibt Fatigue bei Krebskranken als ein subjektives Gefühl unüblicher Müdigkeit, das sich auf den Körper, die Gefühle und die mentalen Funktionen auswirkt, mehrere Wochen andauert und sich durch Ruhe und Schlaf nur unvollständig oder gar nicht beheben lässt.[15]

Pathogenese bei Krebs

Die Pathogenese der Fatigue bei Krebs ist bislang nicht eindeutig geklärt. Überwiegend wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, an der bei Krebskranken auch psychologische Faktoren, Blutbildveränderungen und Ernährungseinflüsse beteiligt sind. Bei ihnen wird die Fatigue durch die Erkrankung selbst oder im Zusammenhang mit einer Chemotherapie oder Bestrahlung ausgelöst. Sie hält meist Wochen bis Monate über den Behandlungszeitraum hinaus an und beeinträchtigt die Lebensqualität oft erheblich. Typische Merkmale sind eine anhaltende Schwäche und Abgeschlagenheit trotz ausreichender Schlafphasen, eine Überforderung bereits bei geringen Belastungen und eine deutliche Aktivitätsabnahme im privaten und beruflichen Umfeld.

Therapie bei Krebs

Therapeutisch wird in der Onkologie in erster Linie zu einem Ausgleich einer evtl. bestehenden Blutarmut (Anämie) gegebenenfalls auch durch Bluttransfusionen und zu einem vorsichtig dosierten körperlichen Ausdauertraining geraten. Auch Yoga und andere Bewegungstherapien können einen positiven Effekt bei Fatigue haben.[16][17]

Postinfektiöse Fatigue

Im Anschluss an virale Infektionserkrankungen wie zum Beispiel dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder COVID-19 kann es zu einer postinfektiösen (auch postviralen) Fatigue kommen, die wochen- oder monatelang anhalten kann.[6][18] Postinfektiöse Fatigue ist von einem alltagssprachlichen Verständnis der Begriffe Müdigkeit und Erschöpfung abzugrenzen.[19]

Fatigue ist ein häufiges Symptom von Long COVID bzw. des Post-COVID-Syndroms.[20][21] Sie kann als einzelnes Symptom auftreten, wird aber oft mit weiteren Symptomen assoziiert, darunter Schlafstörungen wie unerholsamer Schlaf, zunehmenden Schmerzen und einer Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit (englisch ‚brain fog‘).[20] Tritt Fatigue im Rahmen einer post-exertionellen Malaise (PEM) auf, gilt es die PEM zu berücksichtigen, um eine (dauerhafte) Zustandsverschlechterung zu vermeiden und eine Chronifizierung zu verhindern.[22]

Fatigue ist ebenfalls ein Symptom der Myalgischen Enzephalomyelitis/des Chronischen Fatigue-Syndroms, die nach einer Infektion mit verschiedenen Erregern auftreten kann.[23] Neben dem Vorliegen weiterer Symptome muss Fatigue bei ME/CFS mindestens sechs Monate bestehen.[18]

Auch im Rahmen von HIV wird Fatigue häufig beschrieben.[24]

Teilweise werden postakute Infektionssyndrome Fatigue-Syndrome genannt. Meist liegt jedoch eine Vielzahl weiterer Symptome vor.[25]

Seafarer Fatigue

Seafarer Fatigue beschreibt die Ermüdung und Übermüdung von Seeleuten. Es handelt sich um eine Krankheit, bei der es sich nicht um eine eigenständige einzelne Diagnose handelt, sondern um einen Komplex von Symptomen als Reaktion auf Belastungen aus der Arbeits- und Lebensumgebung auf einem Schiff.

Leitlinien

Literatur

  • Agnes Glaus: Fatigue – die unübliche Müdigkeit. In: Eberhard Aulbert, Friedemann Nauck, Lukas Radbruch (Hrsg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Mit einem Geleitwort von Heinz Pichlmaier. 3., aktualisierte Auflage. Schattauer, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-7945-2666-6, S. 398–409.

Einzelnachweise

  1. a b c Hanna Graßhoff, Konstantinos Fourlakis, Swantje Arndt, Gabriela Riemekasten: Fatigue bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen: Erschöpfung entschlüsseln und gezielt therapieren. In: Deutsches Ärzteblatt Online. 8. März 2024, ISSN 2199-7292, S. 6, doi:10.3238/PersImmun.2024.03.08.01 (freier Volltext).
  2. Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) – Aktueller Kenntnisstand (PDF; 2,7 MB), Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, 17. April 2023, S. 5 f., abgerufen am 8. August 2024.
  3. ICD10-GM (Memento vom 14. Juli 2016 im Internet Archive). Abgerufen am 18. August 2016.
  4. Sławomir Kujawski, Paweł Zalewski, Lynette Hodges, Jo Nijs, Julia L. Newton: Editorial: Fatigue: physiology and pathology. In: Frontiers in Neuroscience. Band 18, 2. Februar 2024, ISSN 1662-453X, S. 5, doi:10.3389/fnins.2024.1368897, PMID 38370437, PMC 10869579 (freier Volltext).
  5. a b Hanna Graßhoff, Konstantinos Fourlakis, Swantje Arndt, Gabriela Riemekasten: Fatigue bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen: Erschöpfung entschlüsseln und gezielt therapieren. In: Deutsches Ärzteblatt Online. 8. März 2024, ISSN 2199-7292, S. 7, doi:10.3238/PersImmun.2024.03.08.01 (freier Volltext).
  6. a b Kathryn Hoffmann: Postakute Infektionssyndrome und Erkrankungen. In: Erika Zelko, Susanne Rabady, Herbert Bachler (Hrsg.): Lehrbuch für Allgemein-/Familienmedizin. E-Book. Trauner Verlag, Linz 2024, ISBN 978-3-99151-341-4, S. 4.
  7. ehlers-danlos.com
  8. Chiara Pinarello, Julia Elmers, Hernán Inojosa, Christian Beste, Tjalf Ziemssen: Management of multiple sclerosis fatigue in the digital age: from assessment to treatment. In: Frontiers in Neuroscience. Band 17, 5. Oktober 2023, ISSN 1662-453X, doi:10.3389/fnins.2023.1231321, PMID 37869507, PMC 10585158 (freier Volltext).
  9. I. M. Skoie, I. Dalen, T. Ternowitz, G. Jonsson, I. Kvivik: Fatigue in psoriasis: a controlled study. In: The British Journal of Dermatology. Band 177, Nr. 2, August 2017, ISSN 1365-2133, S. 505–512, doi:10.1111/bjd.15375, PMID 28182255.
  10. Fatigue abhängig von Krankheitsaktivität bei Psoriasis-Arthritis • DGP. In: DeutschesGesundheitsPortal. 21. Juli 2022, abgerufen am 15. September 2022 (deutsch).
  11. a b Sławomir Kujawski, Paweł Zalewski, Lynette Hodges, Jo Nijs, Julia L. Newton: Editorial: Fatigue: physiology and pathology. In: Frontiers in Neuroscience. Band 18, 2. Februar 2024, ISSN 1662-453X, S. 4, doi:10.3389/fnins.2024.1368897, PMID 38370437, PMC 10869579 (freier Volltext).
  12. Kathryn Hoffmann, Astrid Hainzl, Michael Stingl et al.: Interdisziplinäres, kollaboratives D-A-CH Konsensus-Statement zur Diagnostik und Behandlung von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom. In: Wiener klinische Wochenschrift. Band 136, S5, 14. Mai 2024, ISSN 0043-5325, S. 106, doi:10.1007/s00508-024-02372-y, PMID 38743348, PMC 11093804 (freier Volltext).
  13. S3-Leitlinie Müdigkeit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. In: AWMF online (Stand Dezember 2022) S. 20 ff.
  14. Gregory A. Curt, William Breitbart, David Cella et al.: Impact of Cancer-Related Fatigue on the Lives of Patients: New Findings From the Fatigue Coalition. In: The Oncologist. Band 5, Nr. 5, 1. Oktober 2000, ISSN 1083-7159, S. 353–360, doi:10.1634/theoncologist.5-5-353 (freier Volltext).
  15. Agnes Glaus: Das Konzept Fatigue in der Onkologie: Definitionen, Hintergründe. In: J. Weis, H. Batsch (Hrsg.): Fatigue bei Tumorpatienten – eine neue Herausforderung für Therapie und Rehabilitation. Karger, Basel 2000, S. 108–120.
  16. Shiraz I. Mishra, Roberta W. Scherer, Paula M. Geigle, Debra R. Berlanstein, Ozlem Topaloglu, Carolyn C. Gotay, Claire Snyder: Exercise interventions on health-related quality of life for cancer survivors. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 2012, Nr. 8, 15. August 2012, ISSN 1469-493X, S. CD007566, doi:10.1002/14651858.CD007566.pub2, PMID 22895961, PMC 7387117 (freier Volltext).
  17. Shiraz I. Mishra, Roberta W. Scherer, Claire Snyder, Paula M. Geigle, Debra R. Berlanstein, Ozlem Topaloglu: Exercise interventions on health-related quality of life for people with cancer during active treatment. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 2012, Nr. 8, 15. August 2012, ISSN 1469-493X, S. CD008465, doi:10.1002/14651858.CD008465.pub2, PMID 22895974, PMC 7389071 (freier Volltext).
  18. a b Herbert Renz-Polster, Carmen Scheibenbogen: Post-COVID-Syndrom mit Fatigue und Belastungsintoleranz: Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom. In: Die Innere Medizin. Band 63, Nr. 8, 1. August 2022, ISSN 2731-7099, S. 831, doi:10.1007/s00108-022-01369-x, PMID 35925074, PMC 9281337 (freier Volltext).
  19. Susanne Rabady, Kathryn Hoffmann, Martin Aigner et al.: Leitlinie S1 für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post-COVID-19. In: Wiener klinische Wochenschrift. Band 135, Nr. 4, 1. Juli 2023, ISSN 1613-7671, S. 550, doi:10.1007/s00508-023-02242-z, PMID 37555900, PMC 10504206 (freier Volltext).
  20. a b Trisha Greenhalgh, Manoj Sivan, Alice Perlowski, Janko Ž Nikolich: Long COVID: a clinical update. In: The Lancet. Juli 2024, ISSN 0140-6736, S. 4, doi:10.1016/s0140-6736(24)01136-x (freier Volltext).
  21. S1-Leitlinie Long/Post-COVID der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. In: AWMF online (Stand Mai 2024), S. 16.
  22. Kathryn Hoffmann: Postakute Infektionssyndrome und Erkrankungen. In: Erika Zelko, Susanne Rabady, Herbert Bachler (Hrsg.): Lehrbuch für Allgemein-/Familienmedizin. E-Book. Trauner Verlag, Linz 2024, ISBN 978-3-99151-341-4, S. 6.
  23. Carmen Scheibenbogen, Judith Bellmann-Strobl, Anett Reißhauer et al.: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom: Interdisziplinär versorgen. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 120, Nr. 20, 19. Mai 2023, S. A-908, https://www.aerzteblatt.de/archiv/231286/Myalgische-Enzephalomyelitis-Chronisches-Fatigue-Syndrom-Interdisziplinaer-versorgen (abgerufen am 7. August 2024).
  24. S3-Leitlinie Müdigkeit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. In: AWMF online (Stand Dezember 2022), S. 26.
  25. Jan Choutka, Viraj Jansari, Mady Hornig, Akiko Iwasaki: Unexplained post-acute infection syndromes. In: Nature Medicine. Band 28, Nr. 5, Mai 2022, ISSN 1546-170X, S. 912 f., doi:10.1038/s41591-022-01810-6 (freier Volltext).